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Kriegsende
80. Jahrestag

8. Mai: Wer Freiheit will, muss sie verteidigen

Zukunft MEMORIAL erinnert zum 80. Jahrestag des Kriegsendes an verdrängte Wahrheiten – und präsentiert neue Website

Selbst in der Sowjetunion war der 9. Mai weniger ein triumphaler „Tag des Sieges“ als vielmehr ein stiller Tag des Erinnerns und der Trauer. Fernab vom offiziellen sowjetischen Geschichtsbild dominierte in der Bevölkerung die Erinnerung an den Preis dieses Sieges, aber auch an die Verbrechen und Fehler der sowjetischen Führung unter Stalin.

Offiziell wurden viele dunkle Kapitel ausgeblendet: die stalinistischen Säuberungen, der Hitler-Stalin-Pakt, die katastrophalen Niederlagen der Roten Armee zu Beginn des Krieges. Erst mit der Perestroika wurde dieses Schweigen gebrochen – über die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung auf sowjetischem Boden, über Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, die nach ihrer Rückkehr stigmatisiert wurden. Endlich kamen lange verdrängte Wahrheiten ans Licht: über Gewaltverbrechen, Plünderungen und Übergriffe der Roten Armee in Osteuropa und besonders in Deutschland, über Repressionen in der sowjetischen Besatzungszone, über die NKWD-Speziallager.

In Russland konnte erstmals öffentlich ausgesprochen werden, dass die sowjetische Armee Mittel- und Osteuropa zwar vom Nationalsozialismus befreit, aber keine Freiheit gebracht hatte – sondern neue Diktaturen und alte Fremdherrschaft. Es schien, als würden das sowjetische und das westliche Erinnern, der 9. Mai und der 8. Mai symbolisch miteinander verschmelzen. MEMORIAL war eine treibende Kraft dieser Entwicklung.

Doch mit Putins Aufstieg kehrte ein autoritärer Geschichtsdiskurs zurück. Der Sieg über das nationalsozialistische Deutschland wurde zur heiligen Quelle einer neuen Staatsideologie: Russland als ewig bedrohtes, nie schuldiges und stets siegreiches Land. Der 9. Mai wandelte sich zur Bühne eines aggressiven Militarismus. Mit der Annexion der Krim und dem Krieg gegen die Ukraine wurde das Gedächtnis an den Zweiten Weltkrieg dann nicht nur missbraucht, sondern obszön entstellt. Kriegslieder und Gedichte, einst Ausdruck von Schmerz und Erinnerung, werden heute auf Kundgebungen zur Rechtfertigung eines aggressiven Krieges gegen die Ukraine missbraucht. Das Verbrechen, das sich heute abspielt, soll unter einem neuen ideologischen Konstrukt verborgen werden: einer falschen Rekonstruktion der Geschichte im Dienst einer endlosen Kriegsvorbereitung.

Zukunft MEMORIAL leistet dagegen Widerstand, indem es die Erinnerung an den Preis des Sieges bewahrt.

Zukunft MEMORIAL – eine neue Stimme im internationalen MEMORIAL-Netzwerk

Zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs präsentiert sich Zukunft MEMORIAL – die Exilorganisation von MEMORIAL in Berlin und neue Stimme im internationalen MEMORIAL-Netzwerk – mit neuem Design und einer überarbeiteten Website. In Zusammenarbeit mit der Kreativagentur Scholz & Friends, der Strategieberaterin Martina Dase und der Digitalagentur deepblue networks wurde ein neues Erscheinungsbild entwickelt. Es macht sichtbar: MEMORIAL lebt weiter – im Exil, im digitalen Raum und als internationale Bewegung gegen staatliche Gewalt, für historische Aufarbeitung und Menschenrechte.

Zukunft MEMORIAL wurde 2022 von den MEMORIAL-Mitgründerinnen Irina Scherbakowa und Elena Zhemkova gemeinsam mit russischen und deutschen Unterstützenden in Berlin ins Leben gerufen – als Reaktion auf die erzwungene Auflösung von MEMORIAL International durch die russischen Behörden.

«Mit dem neuen Auftritt setzt Zukunft MEMORIAL nach der Zerschlagung in Russland 2022 ein klares Zeichen: Der Verlust unserer Räume, Archive und Strukturen in Moskau kann uns nicht zum Schweigen bringen.»

Irina Scherbakowa, Vorsitzende von Zukunft MEMORIAL

Gedenken begehbar machen – Medienexkursion zum 8. Mai

Bereits vor dem 8. Mai hatte Zukunft MEMORIAL Journalisten und Fotografen zu einer Medienexkursion mit Irina Scherbakowa zu bekannten Berliner Erinnerungsorten eingeladen. Die Tour führte zum Führerbunker, zum Holocaust-Denkmal und zur Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Schöneweide. Der Rundgang verband historische und persönliche Geschichten der Vorsitzenden von Zukunft MEMORIAL mit aktuellen politischen Fragen: Wie erinnern wir heute? Was bedeutet Gedenken in Zeiten des Krieges? Und wie wird Erinnerung zum Anstoß für neues Engagement?

Neues digitales Zuhause – neue Website online

Die neue Website von Zukunft MEMORIAL ist ab Donnerstag, 8. Mai 2025 unter www.zukunft-memorial.org online. Sie zeigt die Vielfalt der Projekte im Exil, gibt einen Überblick über Geschichte und Gegenwart von MEMORIAL und lädt zur aktiven Mitgestaltung ein – durch Spenden, Beteiligung und Solidarität.

Interviews und Kontakt

Für Interviewanfragen und das Vereinbaren von Hintergrundgesprächen mit unserer Vorsitzenden Irina Scherbakowa, unserer Geschäftsführerin Elena Zhemkova und mit weiteren Expertinnen und Experten stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Auf Anfrage stellen wir Ihnen Bild- und Bewegtbildmaterial bereit. Sie möchten in unseren Presseverteiler aufgenommen werden, oder haben konkrete Anfragen? Kontaktieren Sie uns:

Irina Scherbakowa

Dr. Irina Scherbakowa (*1949) ist Historikerin, Kulturwissenschaftlerin und Germanistin. Als Gründungsmitglied von MEMORIAL prägte sie die Arbeit der Organisation über mehr als 30 Jahre hinweg. Seit 1999 ist sie Koordinatorin des MEMORIAL-Geschichtswettbewerbs für Jugendliche „Der Mensch in der Geschichte“. Ihre Forschungsgebiete umfassen Oral History, Totalitarismus, Stalinismus, Fragen des kulturellen Gedächtnisses in Russland und der Erinnerungspolitik. In Deutschland erhielt sie 2014 den Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik, 2022 den Marion-Dönhoff-Preis und 2024 den Hambacher Friedenspreis 1832. Seit 2022 ist Irina Scherbakowa Vorsitzende von Zukunft MEMORIAL. Sie lebt in Berlin und Tel Aviv.

Zukunft MEMORIAL – die neue Stimme von MEMORIAL in Berlin

Der gemeinnützige Verein Zukunft MEMORIAL wurde 2022 in Berlin von Historikern und Aktivisten aus Russland und Deutschland gegründet, um die Arbeit von MEMORIAL aus dem Exil heraus weiterzuführen und ihr eine Zukunft zu geben.

MEMORIAL erforscht seit 1989 den sowjetischen Terror und bewahrt die Erinnerung an die Opfer. Dadurch wurde MEMORIAL zu einer der wichtigsten Stimmen der Opposition im heutigen Russland. 2022 erhielt MEMORIAL für seine Arbeit den Friedensnobelpreis. Nach der Zwangsauflösung der Dachorganisation MEMORIAL International durch das Oberste Gericht Russlands Anfang 2022 und dem Beginn der russischen Vollinvasion in die Ukraine mussten viele Mitarbeitende das Land verlassen – doch sie geben nicht auf. Zukunft MEMORIAL ist Teil des internationalen MEMORIAL-Netzwerks.